Scramble & Position

Der folgende Beitrag wurde von Dennis Brötzmann verfaßt, der für unseren Blog als Gastautor schreibt:

„Position before Submission“, das ist der Tenor, den man in jeder BJJ-Klasse zu hören bekommt. Damit ist gemeint, dass zuerst die Position erarbeitet, gesichert und am Ende schließlich die Submission durchgeführt werden soll.

Diese Strategie ist sicher, mag ihre Zeit dauern und sollte bestimmt die Grundlage für jeden Anfänger sein.

Sicherlich, wenn man im Vale Tudo eine Position optimal sichert, ist der Kampf vorbei. Ist dort jemand in der Sidemount in der Unterlage und hat nicht einen absolut funktionierenden Notfallplan, dann kann er eigentlich schon die Krankenkassenkarte zücken. Eine passierte Guard ist die Garantie auf Ellbogen- und Knieangriffe, und gerade Knie aus der SD sind die fieseste Waffe.

Wie gesagt, man hört das „Position before Submission“-Mantra seit Ewigkeiten.
Das hat seine Berechtigung.
ABER: Schaut man einmal genauer hin, dann gibt es auch…Scrambler.

Das Interessante an diesen Kämpfern ist, dass sie in der Regel nicht in den höheren Gewichtsklassen anzutreffen sind, und zwar aus einem bestimmten Grund. Die Scrambler kommen meistens aus Schulen, in denen der Großteil schwere und starke Kämpfer sind. Bringt einem „Position before Submission“ etwas, wenn der Gegner stärker, schwerer ist und vielleicht sogar einen Bauch hat, auf dem man sich nicht vernünftig positionieren kann?
Nein.

Die Strategie der Leichten muss also das ständige Bewegen sein. Der Große wird das Tempo nicht halten können, wird sein Gewicht immer nutzloser vorfinden (besonders No-Gi) und irgendwann müde sein. Erst hier bietet sich der Choke an. Interessanterweise ist der Choke das bevorzugte Mittel eines Scramblers. Ein Choke kommt schnell, es gibt wesentlich mehr Eingänge und er kostet, richtig ausgeführt, bei Weitem nicht so viel Kraft wie ein Arm- oder Schulterhebel.

Allein das Lösen des Arms von einem Kraftpaket ist unnötige Energieverschwendung, wenn man keine Schlüsseltechniken dafür hat (sprich Ellbogenschlüssel, Slicer-Fake oder das berühmte „Machinegun-Bein“). Weiterhin kann man sicher sein, dass jeder Choke-Versuch einen schweren Gegner noch mehr ausgelaugt hat. Er bekommt die verlorene Luft nicht wieder und genau deshalb ist der bestimmte „Sorry, ich brauche jetzt mal ne Pause“, bevor er getappt wird-Grappler viel eher in den höheren Klassen zu finden.

Sind die Schwergewichte also alle dumme Kolosse? Nein, aber sie haben den Nachteil des Vorteils.

Jemand, der eher schwer ist, wird sich aufgrund des Gewichts erstmal recht komfortabel beim Grappling fühlen. Er hat also als Anfänger gegen Leichtere bereits seine ersten Erfolge und kann die ein oder andere Submission schon mit Kraft durchboxen. In der Regel wird dieser „Fortschritt“ (der keiner ist) ihn nicht dazu bewegen, etwas zu ändern, sondern er wird weiter auf dem „Kraft+Gewicht“-Pfad fahren, solange er damit Erfolg hat. Gegner die ihn tappen, sind in der Regel erfahrener und damit kein wirklicher Anstoß zum Umdenken. Er wird nicht lernen müssen, richtig zu atmen oder den Körper an Bewegungsmuster zu gewöhnen. Escapes klappen mit Kraft und wenig Technik. Submission ebenso.

Was passiert in der Zeit mit dem leichten Grappler?

Er geht.

oder er bemerkt, dass seine körperlichen Attribute nichts wert sind und er ein Spiel entwickeln muss. Damit konfrontiert, dass die Meisten ihn zerquetschen wollen, muss er den ersten Ansturm unbeschadet überleben. Das setzt ein flüssiges Bewegen, sowie gute Atmung voraus. Hat er überlebt, escapt der Leichte klammheimlich und rennt um den Schweren, der schon einiges an Energie verbraucht hat, herum, auf den Moment wartend, dass der Schwere schnauft wie eine Dampf-Lok (viele Submissions sind auf das Ausatmen des Gegners konzipiert!).

Erst jetzt lohnen sich Submissions für den Leichten. Bekommt er sie nicht sofort, ist die Zeit trotzdem auf seiner Seite. Der Schwere kann kaum noch gewinnen, wenn der Leichte keinen dummen Fehler macht. Das Problem des Leichten ist trotzdem der erste Sturm. Ihn zu überleben ist ein bisschen wie das Warten auf Godot. Und meiner Meinung nach langfristig keine Option.

Wir kommen also zu den Scramblern.

„Scramble“ ist der Begriff für die Chaos-Situationen im Kampf. Da, wo noch keine Position vorhanden ist, ist Scramble. Was ist der worst-case des leichten Grapplers? Wenn er in einer Position gesichert wurde (erst dann gibt es auf einem Wettkampf die Punkte!) und der Gegner schwerer ist. Es ist Stillstand und genau das kann der Scrambler nicht gebrauchen.

Ein Scrambler bekommt seine Submission aus der Bewegung, während der Gegner eine Position sucht.
Man schaue sich Marcelo Garcia, der erst einen kleinen Moment von Unsicherheit schafft und plötzlich irgendwohin explodiert, um dann den Kampf zu beenden. Das sind die Momente, in denen man sich fragt: „Was, wie hat er das gemacht??“ Terere ist da ein ähnliches Beispiel oder Carlos Condit im MMA. Ich sehe sogar bei Fedor diese Tendenz, wenn er schwerere Gegner hat (obwohl er ja selber HW ist, aber eben ein leichter).

Für den Scrambler ist das besagte Grappler-Mantra eher ein Hindernis. Die Überlebensinstinkte hat er bereits am Anfang lernen müssen und nun muss er sein Spiel aufzwingen. Hohe Geschwindigkeit, niemals eindeutige Situtationen, schnelle Submissions.

Kann ein Schwergewicht ein Scrambler werden? Absolut.

Ihnen fehlt in der Regel die Kondition. Das liegt leider eher daran, dass sie sie nie wirklich brauchten. Ebenso wie Flexibilität o.ä. Nimmt ein Schwergewicht am Anfang die Kraft+Gewicht im Kampf heraus, muss er an seiner Technik feilen. Solange die Sonder-Attribute nicht vorhanden sind, wird er etwas anderes entwickeln müssen.

Dieser Weg ist schwer, weil man immer Kontrolle behalten muss. Langfristig ist dieser Weg aber wesentlich effizienter und mehr Partner wollen mit einem rollen, da das Verletzungsrisiko geringer ist. Kämpft der Schwere nun gegen noch schwerere, dann wird er Kraft+Gewicht+Technik+Konditon+Geschwindigkeit zur Verfügung haben und damit sehr gefährlich.

Position before Submission ist also durchaus sinnvoll, wenn man es sich denn leisten kann. Ich mache die Erfahrung, dass es sinnvoller ist, aus jeder Position eine Sub (ja, auch unten aus der Mount gibt es welche!) zu können und damit den Kampf zum Spießrutenlauf zu gestalten, als Stationen abzuarbeiten, die irre viel Kraft kosten.

Also: einfach mal versuchen im Training keinen Stillstand aufkommen zu lassen, denn die nächste Submission wartet bereits mit einem Freigetränk um die Ecke …

Dennis Brötzmann