Unterrichtsdidaktik in den CMA


Wie die Grafik zeigt beinhalten die chinesischen Kampfkünste die Bereiche Geist, Körper und Technik/Anwendungen. Für jeden Teilbereich gibt es spezielle Übungen, die alle miteinander verbunden sind und aufeinander aufbauen. Technik, bzw. die Effektivität der Anwendungen, ist abhängig von den körperlichen Skills und die Entwicklung dieser benötigt die richtigen „Ideen“ im Geist. Diese Ideen wiederum benötigt man zum Verständnis der Techniken und der effektiven Durchführung.

Des weiteren werden durch die „geistige Arbeit“ sehr viel mehr Dinge bzgl. des Mindsets und des Verhaltens geschult, die wiederum in einer Kompetenz im Umgang mit Gewalt münden, was wiederum dazu führt die Techniken effektiver unter Lebensgefahr einzusetzen. Der Körper ist dabei ein wichtiges Übungsinstrument.

Eine vollständige authentische Linie hat in allen Teilbereichen Trainingsmaterial, das aufeinander abgestimmt ist und letztendlich diese Tradition ausmacht. Damit diese Inhalte strukturiert gelehrt werden können gibt es ein Curriculum für Schüler, welches sich bewährt hat.

Jetzt muss man wissen dass jede dieser Inhalte wie eine Zwiebel aufgebaut ist. Man zeigt immer nur eine Schale, eine Schicht. In der Regel wird mit den einfachen Anwendungen angefangen, dazu die grundlegenden Ideen und körperlichen Übungen. Je weiter man kommt desto tiefer geht es, man nähert sich also dem Punkt auf dem Bild an, in dem alles ineinander greift. Dem Kern der Lehre.

Ein solches Lehrprinzip hat den Vorteil das man die Leute schnell fit und wehrhaft bekommt in dem man die einfachen Techniken und Körperübungen zeigt und ihnen darauf abgestimmte Ideen gibt. Letztendlich bewegt man sich damit aber dennoch nur auf der äußeren Schale.

Man kann den Leuten auch nur Teilbereiche zeigen, z.B. nur körperliche Übungen oder nur Techniken/Anwendungen, je nachdem was man bewirken will. Ein solches Prinzip führt natürlich dazu dass unterschiedliche Leute unterschiedliche Dinge unter ein und derselben Kampfkunst verstehen.

Die CMA mussten natürlich auch eine konkrete Methode finden um ihre Ausübenden schnell wehrhaft zu bekommen und sie realistisch auszubilden. Dabei gibt es zu bedenken dass man es sich in der damaligen Zeit nicht erlauben konnte für längere Zeit verletzt auszufallen. Es gab keine Krankenversicherung und die medizinischen Möglichkeiten waren eingeschränkt. Ein Bruch konnte rasch zur Arbeitsunfähigkeit führen (was einer sozialen Katastrophe gleich kam) und eine infizierte Wunde konnte schnell tödlich enden.

Man ging in der Ausbildung also zunächst den Weg den Übenden den wichtigsten Teil zu zeigen: Die Schläge, Stöße, Schnitte und Würfe mit diversen Waffen.
Die konkreten Techniken waren das Fundament der Ausbildung. Sie wurden zunächst alleine (in Form von Drills) geübt, um die Bewegung einzuschleifen, und dann aber auch sofort am Partner, um sie immer wieder und wieder zu üben.
Wenn man nur wenige Wochen Zeit für die Grundausbildung hat, dann muss man sich auf das Essentielle konzentrieren: Das was den anderen tötet, verstümmelt, kampfunfähig macht.

Diese Art des Trainings schult eine bestimmte psychische Einstellung: „Töte, oder werde getötet“. Soldaten können es sich nicht leisten Mitleid zu haben. Aus diesem Grund wurden sie darauf gedrillt immer eine ihrer gelernten Anwendungen anzubringen, um den Kampf möglichst schnell und effizient zu beenden.
Die Art der Anwendungen führte parallel zu einer Desensibilisierung gegenüber der Ausübung von körperlicher, tödlicher, Gewalt, denn die Techniken beinhalteten natürlich auch das Wissen um die menschliche Anatomie. Es wurde gelehrt wo man sich hindrehen muss wenn man bestimmte Gefäße durchschneidet, (damit einem das Blut nicht in die Augen spritzt), wie man das Schwert aus hervorquellenden Darmschlingen am effektivsten befreit, wie man verhindert dass ein durchbohrter Körper auf dem Speerschaft hängen bleibt etc. Für einen heutigen Menschen des 21. Jhd. in Mitteleuropa hören sich diese Dinge erst einmal befremdlich an, für einen Menschen der damaligen Zeit waren tote und verstümmelte Menschen jedoch Alltag.

Das Üben der Anwendungen alleine reicht jedoch natürlich noch nicht aus um sich gegen einen, sich wehrenden, Gegner behaupten zu können, zumal ein „freies“, unkooperatives, Training mit Waffen nicht ungefährlich ist. Aus diesem Grund gab es das sogenannte „Boxen“, den unbewaffneten Kampf.
Die Bewegungen der bewaffneten Anwendungen lassen sich alle auf unbewaffnete Techniken übertragen, zumal viele Anwendungen starke ringerische Anteile haben. Auch die Theorien des Kampfes über Fußarbeit, Koordination etc. (wie es sie z.B. in den Speeranwendungen gibt) lässt sich sehr gut im unbewaffneten Ringen üben.
In dem unbewaffneten Kampf übt man also sich in eine Lage zu bringen um die eigentlichen, finalen, Anwendungen durchzuführen. Da diese Anwendungen (neben Schnitten und Stichen) sehr oft aus Würfen auf den Hinterkopf bestehen, oder Würfe beinhalten, die Extremitäten stark verletzen, wird der Abschluss im freien Kampf oft nur angedeutet.
Diese Art des freien Übens nennt sich in den CMA „schiebende Hände“ (Push Hands). Das „andeuten“ kann dann ein „den Kopf greifen“ sein, oder ein „Schubsen“ des zuvor destabilisierten Gegners etc. In dieser Form des Übens geht es dann darum den Gegner so zu manipulieren dass man ihn kontrollieren kann. Dies erfordert ein hohes Maß an koordinativen Fähigkeiten des eigenen Körpers und ein gutes Verständnis von Bewegung allgemein, bzw. wie Bewegung zwischen zwei Menschen stattfindet.

Aus dieser Art des Übens entwickelten sich dann Theorien über verschiedene „Kräfte“ und wie diese sich anwenden lassen. Im eigenen Körper und in Beziehung zum anderen Körper. Diese Theorien lassen sich dann natürlich auch wieder zurück auf die Waffen übertragen und mit ihnen besser verstehen, da dort einfach andere Hebel und Kräfte wirken können. Die Waffen verbessern das Verständnis des Körpers und der Körper das Verständnis der Waffen. Beides erhöht die Effektivität der Anwendungen.

Wie das Wort „Theorie“ schon vermuten lässt ist bei dieser Art des Trainings auch immer der Verstand involviert. Er ist, mit seinen verschiedenen Ebenen (rationaler Anteil, emotionaler Anteil), der Motor des Ganzen.
Auf einer sehr einfachen Ebene brauche ich meinen Verstand zunächst um die Anwendungen zu lernen. Konkrete Techniken durch Kopieren merken und so internalisieren dass ich sie jederzeit abrufen kann. Auswendiglernen durch Kopieren.

Auf der Ebene der koordinativen Fähigkeiten wird das Ganze schon komplexer. Ich muss dazu ein „inneres Bild“ meines Körpers erzeugen und lernen dieses Bild gemäß definierter Regeln anzuwenden (welche ich natürlich auch erst lernen und verstehen muss).
Dieses „innere Bild“ wird immer weiter ausgebaut, immer komplexer, immer detailreicher. Immer wenn ich das Bild erweitert habe (siehe „multikodierte neuronale Netze„), ermöglicht dies es mir meinen Körper komplexer zu benutzen um verschiedene Theorien des Kampfes besser umsetzen zu können (bzw. diese erst zu verstehen). Dieser Ausbau der multikodierten neuronalen Netze ist gemeint wenn wir von den „Schichten der Zwiebel“ reden.
Das macht die „Kunst“ aus.

Am einfachsten kann man die Körperarbeit mit der Franklin- oder Feldenkraismethode der heutigen Zeit vergleichen. Man lernt seinen Körper über Bilder/Ideen, die der Verstand erzeugt und versteht, effektiver und komplexer zu bewegen.

Was ist nun der Unterschied der CMA zu Feldenkrais oder Franklin?

Der Verstand/Geist. In den CMA haben sich diese Ideen vor dem Hintergrund eines konfuzianischen soziokulturellen Kontextes entwickelt und wurden auch stark von den vorherrschenden Religionen (Taoismus und Buddhismus) beeinflusst.
Unser Verstand ist abhängig von dem Kontext in dem er sich entwickelt. Ideen werden auf Grundlage des jeweiligen Kontextes geboren. Kunst sieht in Europa anders aus als in Asien oder Afrika. Kunst heute sieht anders aus als Kunst im 14. Jhd. oder der Steinzeit.
Die CMA haben zum Üben dieser Ideen eine spezielle Methodik entwickelt: Das „Stehen“ und verschiedene Formen von bewegten Übungen. Ziel dieser Übungen ist es die „Kräfte“ besser zu verstehen und im eigenen Körper besser wahrzunehmen, bzw. zu kontrollieren.
Im Üben mit einem sich wehrenden Gegner ist es schwierig in den eigenen Körper hineinzuhören oder bestimmte Ideen umzusetzen. Daher übt man dies zunächst im Stehen und dann in bewegten Übungen. Einige Richtungen der CMA lassen das Stehen weg und üben dies direkt in der Bewegung. Die Bewegungen können einfach sein, oder aber auch schon komplexe Bewegungen enthalten, die dann (im Kampfkunstkontext) schon die konkreten Anwendungen enthalten (teils auch entstanden aus den Drillübungen der Anwendungen). Dies sind dann die sog. „Formen“ oder „Kata“.

Wir sehen das der Kern einer KAMPFkunst die Anwendungen sind. Sie sind das letztendliche Ziel um im Kampf zu überleben. Um dieses Ziel zu erreichen muss man die Körperkoordination trainieren und die Theorien des Kampfes verstehen. Eingebettet sind diese Dinge in den verschiedenen Ideen, die dem Verstand/Geist entspringen und von dem soziokulturellen Kontext stark beeinflusst sind.

Im Laufe der Zeit haben sich in den verschiedenen Richtungen/Stilen der CMA die unterschiedlichsten Schwerpunkte gebildet, vor allem zu Beginn des 20. Jhd.: Die Anwendungen mit Klingenwaffen wurden obsolet und die „Stärkung des Volkes“ in Kombination mit der Abkehr vom „überholten Alten“ stand im Zentrum des Wandels der Kampfkünste.

Waren vorher die Anwendungen das eigentliche Ziel stand nun das Training des Körpers im Mittelpunkt und „überholte alte Ideen“ wichen neueren, „moderneren“.

Einen Lehrer zu finden, der alle Bereiche einer Kampfkunst gezeigt bekommen hat und selber in der Lage ist die „komplette Zwiebel“ zu zeigen ist schwer, aber die Suche lohnt sich!!!