Innere Bilder, Ideen und Achtsamkeit.

Was genau muss man sich unter „Bildern“ oder „Ideen“ vorstellen?

Bilderarbeit (die Arbeit mit Ideen) macht unserem Bewusstsein unterbewusst ablaufende Prozesse zugänglich, oder beeinflusst sie.

Zur Erläuterung der Rolle des „Bewusstseins“ hier mal ein Zitat aus einer Arbeit von Maja Storch:

„Aus neurowissenschaftlicher Sicht entstehen „alle Aspekte des psychischen normalen wie auch des neurotischen Verhaltens … aus den normal funktionierenden memonischen (gedächtnisbezogenen, M.S.) Funktionen des menschlichen Gehirns“ (Koukkou & Lehmann, 1998a, S. 294). Ausserdem gilt: „Der … Organisator der Genese, Koordination und Kontrolle der Qualität aller Dimensionen des menschlichen Verhaltens, in allen Alters- und Bewusstseinslagen, ist die Menge und die Qualität des im Gehirn des Individuums erworbenen und kreierten Wissens“ (ebd., S.301). Dem Gedächtnis und dem darin gespeicherten Wissen kommt eine entscheidende Bedeutung zu, sowohl was die menschliche Psyche betrifft als auch was die Verhaltenssteuerung angeht. Bei Mertens (1998) findet sich ein ausführlicher und sorgfältiger Überblick über verschiedene psychologische Konzepte, die gut mit dem neurowissenschaftlichen Modell der Gedächtnisbildung auf der Basis von neuronalen Netzen in Verbindung gebrachtwerden können. Hierzu gehören aus der Sicht der genetischen Epistemologie die sensomotorischen Schemata nach Piaget (1952), aus der Sicht der Körpertherapie die affektmotorischen Schemata nach Downing (1996), aus psychoanalytischer Sicht die „Wahrnehmungs-Affekt-Handlungsmuster“, die bei Dornes (1993) beschrieben sind, und aus der Sicht der Kleinkindforschung die RIGs (representations of interaction generalized; dt. generalisierte Interaktionsrepräsentanzen), ein Konzept von Stern (1985).

Bleibt man in diesem neurowissenschaftlich fundierten Modell von Psyche, so kann man psychische Entwicklung als Erweiterung von Gedächtnisinhalten und damit als Lernen beschreiben. Dies führt zu der Frage, wie psychisches Geschehen aus neurowissenschaftlicher Sicht reguliert wird. Denn wenn die Absicht besteht, psychische Gesundheit gezielt zu fördern, muss präzises Wissen darüber vorhanden sein, welche innerpsychischen Instanzen am Zustandekommen von Gesundheit beteiligt sind. Wie wird psychisches Geschehen reguliert? Wie hat man sich die Regulationsprozesse vorzustellen, die das psychobiologische Wohlbefinden des Organismus sichern? Zunächst ist festzuhalten, dass wir uns von der Vorstellung verabschieden müssen, dass „das, was wir als unser Ich erleben, das zentrale Steuerungsorgan unseres Lebens und unseres Seelenlebens ist. … Unser Ich-Erleben ist eine emergente Qualität aus der Gesamtheit der neuronalen Prozesse, die in uns ablaufen. Unser Ich ist nicht der Überwacher und Herrscher über diese Prozesse, sondern ihr Produkt“ (Grawe, 1998, S. 331).
Dem Bewusstsein, an das die Vorstellung von der Tätigkeit des Ich in psychologischen Theorien gekoppelt ist, kommt aus der Sicht der Neurowissenschaften keineswegs die zentrale Stellung zu, die ihm in der akademischen Psychologie lange Zeit gegeben wurde. Dies liegt daran, dass der überwiegende Teil der Gehirnaktivität über unbewusste Prozesse verläuft. Nach Roth (2001, S. 218f) sind nur diejenigen Vorgänge bewusst, die mit einer Aktivität des assoziativen Cortex verbunden sind. Entsprechend sind für uns alle Vorgänge unbewusst, die im Gehirn stattfinden, während und solange der assoziative Cortex nicht aktiv ist. Abbild 2 zeigt diejenigen corticalen Areale, deren Aktivität nach Roth bewusstseinsfähig ist. Der Unterscheidung zwischen bewussten und unbewussten Prozessen im Gehirn korrespondiert die Unterscheidung in explizite und implizite Prozesse aus der Gedächtnispsychologie (Schacter, 1986). Ein ausführlicher Überblick hierzu findet sich bei Grawe (1998, S. 376f). Grawe schreibt ausserdem: „Die Existenz eines unbewussten Funktionsmodus ist nicht nur eine psychoanalytische Annahme. Sie ist ein empirisch gesichertes Phänomen“ (ebd., S. 434). Die Funktionsweise des bewussten und des unbewussten Modus ist verschieden, sie beruht auch hirnanatomisch auf verschiedenen Strukturen. Explizite Prozesse benötigen Zeit und Aufmerksamkeit, implizite Prozesse können automatisiert in Sekundenschnelle abgerufen werden. Explizite Prozesse sind störungsanfällig, implizite Prozesse laufen, wenn sie einmal ausgelöst wurden, mit hoher Zuverlässigkeit ab. Da explizite Prozesse energetischstoffwechsel-physiologisch sehr viel „teurer“ sind als implizite Prozesse, bezeichnet Roth (2001) sie sogar als ein „besonderes Werkzeug des Gehirns“ (S. 231). Bewusstsein ist aus der Sicht des Organismus ein Zustand, „der tunlichst vermieden und nur im Notfall einzusetzen ist“ (Roth, 2001, S. 231). Explizite, mit Bewusstsein verbundene Prozesse werden vom Gehirn nur dann aufgerufen, wenn in einem unterhalb der Bewusstseinsschwelle verlaufenden Prozess, der in den Neurowissenschaften „präattentive Wahrnehmung“ genannt wird, ein Objekt oder eine Situation als „neu“ und/oder als „wichtig“ eingestuft wurde. Wenn die präattentive Wahrnehmung einen Sachverhalt als „bekannt“ und/oder „unwichtig“ einstuft, wird der implizite Verarbeitungsmodus eingeschaltet. Das Gehirn ist darauf aus, auch Inhalte, für deren Bearbeitung zunächst viel Aufmerksamkeit und „teure“ Bewusstheit nötig war, so bald als möglich ins implizite Gedächtnis zu überführen. Dies geschieht durch Wiederholung und Übung. In dem Masse, in dem Leistungen wiederholt werden, sich einüben und schliesslich mehr oder weniger automatisiert und damit müheloser werden, schwindet auch der Aufwand an Bewusstheit und Aufmerksamkeit, bis am Ende – wenn überhaupt – nur ein begleitendes Bewusstsein übrig bleibt. Wenn man an den Unterschied von der ersten Fahrstunde zu der Art und Weise, wie man heute Auto fährt, denkt, wird der Unterschied zwischen expliziten und impliziten Prozessen ohne weiteres deutlich. Grundsätzlich ist die Fähigkeit des Gehirns, viele Dinge im impliziten Modus automatisiert abzuwickeln, meistens von Vorteil. Für psychologische Prozesse allerdings kann diese Fähigkeit manchmal zum Problem werden. Dies ist dann der Fall, wenn maladaptive neuronale Netze die Steuerungsfunktion übernehmen und im Menschen Wahrnehmungsbereitschaften, motivationale Bereitschaften und Handlungsbereitschaften hervorrufen, die dem psychobiologischen Wohlbefinden abträglich sind.“

Quelle: http://majastorch.de/download/Ressourcenaktivierung.pdf

Insbesondere der zweite Absatz ist wichtig. „Ich“ kann nur mit meinen bewussten Anteilen arbeiten und muss über Assoziationen, die ich gelernt habe, Zugriff auf meine unterbewussten Erinnerungen und Vorgänge bekommen.

Ein Beispiel für ein Bild aus der Therapie (extrem simpel) ist das „innere Lächeln“. Man sagt dem Patienten er soll Lächeln ohne den Mund zu bewegen, also an „Lächeln“ denken und dann werden unterbewusste motorische und emotionale Prozesse in Gang gesetzt, die neuronale Errungsmuster abrufen (oder auslösen).

Hier, ebenfalls von Maja Storch (ebenda) , eine ganz gute Erklärung zu neuronalen Erregungsmustern:

„Auf der Ebene der Nervenzellen kann man sich das Wissen, das die Gedächtnisinhalte des menschlichen Gehirns ausmacht, als Bereitschaften zur Aktivierung ganz bestimmter neuronaler Erregungsmuster in diesem riesigen neuronalen Netzwerk vorstellen. Diese Erregungsmuster sind in so genannten „neuronalen Netzen“ organisiert, der englischer Begriff dafür heisst „cell assemblies“. Sie sind die Bausteine unseres Gedächtnisvermögens. Ohne „cell assemblies“ würden wir in einem Meer von Sinnesdaten untergehen; wir wären nicht in der Lage, die ungeheure Menge von Informationen, die jede Sekunde auf uns einströmt, sinnvoll zu ordnen und abzurufen.

Neuronale Netze entstehen dadurch, dass als Reaktion auf einen Reiz bestimmte Muster gemeinsam ausgelöst werden. Geschieht dies wiederholt, stärktsich dieser gesamte Nervenkomplex und wird in Zukunft immer leichter aktivierbar. Edelman (1987) hat diesen Vorgang in seinem Konzept des „reentrant mapping“ beschrieben. Ratey (2001) veranschaulicht den Vorgang des „reentrant mapping“ am Beispiel der Entstehung des neuronalen Netzes zum Thema „Grossmutter“. Edelmans Theorie zufolge „beruht die Wahrnehmung eines Stuhls oder der eigenen Grossmutter auf wiedereintretenden Signalen, die die Tätigkeit mehrerer Karten von Hirnregionen kombinieren. … Jede Hirnregion trägt zum Wiedererkennen eines Stuhls oder der Grossmutter bei, und das erklärt, warum Wiedererkennen durch eine Vielzahl unterschiedlicher Sinneseindrücke ausgelöst werden kann: durch den Geruch von Mottenkugeln, den Geschmack von Paprika, eine grauhaarige Frau, eine häkelnd im Schaukelstuhl sitzende Gestalt, eine alternde weibliche Stimme“ (S. 173f). In der Fachsprache sagt man, wenn man darüber sprechen will, dass in einem neuronalen Netz Informationen aus den verschiedensten Hirnregionen zu Einheiten verbunden sind: Neuronale Netze sind multicodiert.“

„Achtsamkeitstraining“ meint jetzt nichts anderes als bestimmte Dinge mit Bildern auszuführen und/oder körperliche Rückmeldungen mit bestimmten Ideen wahrzunehmen. Wenn ich „achtsam gehe“ kann ich dem Patienten z.B. sagen er möge sich vorstellen durch nassen Sand am Meer zu gehen. Wenn er das schon einmal getan hat, dann wird er auf die Rückmeldung seiner Füße besonders achtgeben, d.h. auf seine Propriozeption achten und diese „achtsam“ wahrnehmen.
Die CMA haben, so wie ich sie lerne, ein sehr ausgefeiltes System um sich über bestimmte Ideen zu bewegen und Rückmeldungen des Körpers in diese Ideen zu integrieren.

Manches ist, gerade am Anfang, sehr natürlich und einfach nachzuvollziehen, damit man erst einmal überhaupt lernt mit „Yi“ (Achtsamkeit, bzw. eine Idee, die Achtsamkeit bewirkt) zu arbeiten.

Manches wird dann sehr abstrakt und muss von dem Lehrer mit konkreten Erfahrungen gefüllt werden. Wenn ich noch nie über Sand gelaufen bin, dann kann ich auch das Gefühl nicht reproduzieren. Wenn ich nie gelächelt habe, dann kann ich nichts mit dem „inneren Lächeln“ anfangen.

„Qi“, „Seidenspinnen“, „Dantienrotation“, „Fülle“, „Leere“ etc. sind solche Ideen, die erst einmal sehr abstrakt sind und vom Lehrer mit konkreten körperlichen Erfahrungen gefüllt werden müssen.

Dazu ist ja z.B. auch die Korrektur der äußeren Form so wichtig. Durch das „Zwingen“ in bestimmte Haltungen erzeuge ich ein propriozeptives Feedback, was ich dann lernen kann mit einer Idee zu kombinieren.

In den traditionellen Lehrmethoden wird daher so viel Wert auf die äußerlich korrekte Form gelegt. Sie erzeugt ein bestimmtes körperliches Gefühl an definierten Punkten. Sie gibt ein „inneres Abbild“ von Spannungen, Kräften etc. vor (durch Verdrehungen und Dehnungen).

Wenn der Schüler dieses Gefühl verinnerlicht hat, dann kann man ihm zu diesem Gefühl eine Idee geben. Das ist dann der Punkt wo sich „innerer Schüler“ von „Schüler“ unterscheidet, denn diese Ideen werden nicht jedem gegeben, oder aber man gibt die Idee, aber schafft keine Verbindung zum körperlichen Erleben (dazu muss der Lehrer einen anfassen und einen spüren lassen was er meint).

Was für Ideen man nutzt und wie sie systematisch aufeinander aufbauen, dadurch unterscheiden sich dann ggf. die einzelnen Stile.