Schmerz, Angst, loslassen

Da dieser Blog auch ab und an unseren Schülern Raum geben soll, um ihre Gedanken zu äußern, hier nun ein Beitrag eines meiner Schüler zum Thema „Schläge“:

Schmerz, Angst, loslassen

Ich habe mich als Kind niemals wirklich geprügelt. Aber eins wusste ich: Geschlagen werden tut weh! Keine gute Grundlage für mein erstes Schlagtraining? In der Tat! Was fangen die denn auch beim Judo auf einmal mit Schlägen an!?

Trotzdem stellte ich mich dem Ganzen. Verkrampft, ängstlich, aber was sollte man machen, man wollte das ja lernen und vor allen Dingen wollte man auch die anderen schlagen dürfen. Also durch da!

Ständig die Worte des Trainers, später des Lehrers: „Lass doch mal locker!“ Das klingt ja erst mal wie eine saublöde Idee. So wie: „Ja, ja, geh ruhig näher ans Feuer. Ach, eigentlich kann man sich da auch reinsetzen.“ Aber irgendwann fasste man den Mut und „öffnete“ die Brust ließ locker und ging sogar (was ein Irrsinn!) in den Schlag hinein und was soll man sagen es funktionierte.

Erstaunlicherweise wurde der Schmerz weniger…

Dann noch ein Tipp „Und jetzt grinsen, Stephan! Lächle dem Schlag entgegen.“ Das klang nun wirklich absurd! Aber was soll‘s, der vorige „Blödsinn“ hat ja auch schon funktioniert. Also lächeln… und tatsächlich: auf einmal tat der Schlag nicht mehr weh bzw. man entwickelte eine andere Einstellung dazu:

Man wartete den Schlag ab, ohne Erwartung, und evaluierte erst, tat das jetzt eigentlich weh? Und langsam verstummte die innere Stimme, die sagte „Ach du meine Güte, er schlägt dich gleich! Es wird gleich wehtun, denn Schläge tun nun mal weh!“ und machte einer Stimme Platz, die manchmal sagt „Na, das war nun wirklich nichts.“ Oder manchmal auch „Ui, ui, ui, der hat wirklich gesessen.“

Doch der Schmerz wurde auch in den zweiten Fällen im Vergleich zu vorher geradezu lächerlich gering. Und die These drängte sich auf, war von dem Schmerz den du gefühlt hast nicht eigentlich 80% nur Angst? Habe ich vielleicht gar keine Schmerzen mehr, wenn ich gar keine Angst habe?

In der Tat stellt man als jemand der sich vorher nie richtig geprügelt hat irgendwann fest: Moment mal, Schläge tun gar nicht grundsätzlich weh und dieser anerzogene Reflex „Oh, Gott, ein Schlag, das bedeutet Schmerzen“ weicht langsam und macht einem „Schlaggourmet“ Platz, wie mal ein Freund spaßte, der den Schlag abwartet und langsam feststellt: „Oh ja…,[schmatz] ja, ja, [mjam, mjam] … Da kam tatsächlich was über, oh ja der hat so eine interessante Nachwirkung. Kann ich den nochmal haben?“ Und durch die Entspannung und die passenden Bilder hält man so sogar Schläge aus, bei denen bei anderen die Rippen brechen und denkt sich: „Aha, interessant, ja der hat ordentlich Wumms.“

Sollte man sich deshalb regelmäßig schlagen lassen? Sollte man deshalb keine Angst mehr vor Schlägen haben?

Die erste Frage sollte man als Kampfkünstler durchaus mit „Ja“ beantworten, denn nur so erhält man ein realistisches Bild seiner Fähigkeiten im Kampf und weiß was man aushalten kann. Als Nicht-Kampfkünstler ist das nicht unbedingt nötig, dennoch sollte man sich von diesem Reflex lösen der einem sagt: „Schlagen bedeutet Schmerzen.“ Denn erstens belügt man sich damit selbst und zweitens erwartet man, dass es auch umgekehrt funktioniert und das jedem, den man schlägt, das auch wehtut. Und auf einmal trifft man auf einen „Schlaggourmet“, dem das gar nichts ausmacht, wenn man ihm halbherzig die Faust irgendwohin donnert.

Die zweite Frage ist interessanter zu beantworten! Doch, man sollte durchaus Angst vor (manchen) Schlägen haben, denn es gibt immerhin die, die dich ins Land der Träume schicken können, die Schläge, auf die du nicht vorbereitet warst und die, wo auch mit dem besten Bild etwas bricht. Aber man sollte sich nicht schon fürchten nur weil der Andere zum Schlag ausholt, denn die schlimmsten Schläge sind ohnehin die, die du nicht kommen siehst. Halt dich nicht an dem Gedanken fest, dass Schläge wehtun. Umklammere nicht die Angst, die sagt, „Hilfe, ein Schlag!“, die Angst, die lähmt und nur noch dem Gedanken Raum lässt gleich kommt der Schmerz.

Sondern: guck dir den Schlag an und frag dich: hat der überhaupt die Power, mich zu verletzen? Wo geht der Schlag hin, kann mir ein Schlag dorthin überhaupt wirklich gefährlich werden? Vielleicht stellt man fest, ja verdammt, das tut er. Aber nur wenn man mit dieser Offenheit an den Schlag geht wird man ihn, so annehmen können, dass er einem nicht mehr gefährlich wird.

Und man hat etwas gelernt, was nicht nur im Training hilft, sondern fürs ganze Leben: Ansehen, annehmen, loslassen.