Der Funken der Kampfkunst

Sobald Leute nicht mehr gezwungen sind ihr Leben von den kämpferischen Fähigkeiten abhängig zu machen, scheint es zu einer Verflachung und „Vergeistigung“ der Kampfkunst zu kommen. Dieses Phänomen kann man auch im Militär beobachten (früher DEM Hort für den unbewaffneten und bewaffneten Kampf), wo das Wissen um den unbewaffneten Kampf ebenfalls verflacht, da es, mit Einführung der Schusswaffen, zu einer komplett anderen Kriegsführung und damit Ausbildung der Soldaten kommt. Der direkte Kampf „Mann gegen Mann“, unbewaffnet, oder mit Stöcken, Messern, Schwertern, Lanzen etc., ist eben in den heutigen Kriegen nicht mehr so präsent wie früher.

In den allermeisten Kampfkünsten beruhte der unbewaffnete Kampf auf den gleichen Prinzipien wie der bewaffnete (zumindest in den meisten chinesischen Kampfkünsten und dem Karate). Lediglich das „Instrument“ (Speer, Schwert, Hiebwaffe, „leere“ Hand) erforderte eine minimale Anpassung an die spezifischen Gegebenheiten.
Schusswaffen beruhen jedoch nicht auf Körpermechanik…

Wurden Kampfkünste früher also von Leuten betrieben die an harte körperliche Arbeit gewöhnt waren (Soldaten/Söldner, Handwerker, Dorfbewohner, Farmer) und die in kleinen Gruppen ausgebildet wurden (KK-Schulen im Rahmen von Begleitdiensten, Militärausbildung) kam es im Laufe der Zeit zu einer „Neuausrichtung“. Soldaten/Söldner hatten keine Verwendung mehr für die „alte“ Ausbildung, da sich die Bewaffnung und Kriegsführung änderte und die Sozialstruktur änderte sich dahin, dass Zivilisten nicht mehr gezwungen waren um ihr Leben zu kämpfen, zumal die Meisten auch im Militär ihre kämpferische Ausbildung erhielten und das dann im privaten Umfeld weitergaben. Industrialisierung und Verstädterung taten dann ihr Übriges.

Es kam dann schnell dazu, dass Kampfkünste von verkopften „Gelehrten“ gelernt wurden, die weder körperliche Arbeit kannten noch ihr Können jemals ernsthaft unter Beweis stellen mussten. In einigen Traditionen wurde dann noch Wert auf die Ausbildung bestimmter körperlicher Attribute gelegt, aber oft wurden diese anscheinend als „zu anstrengend“ empfunden und entweder weggelassen oder nicht ausreichend intensiv trainiert. Stehen im tiefen Mabu oder einer Form der „stehenden Säule“, jeden Tag 1-2 Stunden?
Makiwaratraining täglich 1 Stunde? Arbeit mit schweren Geräten (Stöcken, Waffen)? 1 Stunde Formen im tiefen Stand laufen?

Vieles von dem, was wir heute als „Grundtechniken“ kennen oder auch als „Grundlagenkata“ dient zu allererst der körperlichen Ertüchtigung und der motorischen Schulung. Jemand, der an tägliche harte Arbeit gewöhnt ist, wird sich damit im Zweifelsfall weniger lange aufhalten müssen als ein verkopfter Schüler, aber ohne Ausbildung eines Kampfkunst-Körpers wird es nichts werden. Tägliches Schwitzen, tägliche Schmerzen sind die Basis für jede Kampfkunst.

Jetzt kommt das Entscheidende: Man muss lernen andere Leute mit vollem Kontakt anzugreifen und seinen Körper einzusetzen und genau daran scheitert es bei sehr sehr vielen. Schützer sind da mehr als kontraproduktiv.

Unterschiedliche Kampfkünste haben unterschiedliche Methoden entwickelt dies zu schulen. Die chinesischen Kampfkünste z. B. gehen über die Nahdistanz (Tuisho) ohne Schlagen zur Nahdistanz mit Schlagen zum Schlagen ohne vorherigen Kontakt, was dazu führt das zuerst Greifen (Chinna) und Werfen gelehrt wird und dann Schlagen. Sie lehren quasi das Fundament zuerst und dann die Erweiterung, denn es ist Wurst ob ich schlage oder mit einer Waffe agiere, das Prinzip dahinter bleibt das Gleiche.

Das Bridging (Überwindung der Distanz in den Angriffsbereich, bzw. Annahme des Angriffs) ist in den chinesischen Kampfkünsten, wie gesagt, fortgeschritten. Die Konzepte der Annahme ebenso. In dieser Übungsform lernt man, mit allem was man hat, anzugreifen und dem Gegenüber harten Kontakt zu geben, während das Verletzungsrisiko recht gering ist. Hat man die Annahme in der Distanz verstanden, kann der Angriff freier werden und immer weniger kooperativ, ohne das das Verletzungsrisiko steigt, da der „Empfänger“ des Angriffs immer besser in der Annahme wird.

In den chinesischen Kampfkünsten hat der Empfänger zu dem Zeitpunkt des „Bridgings“ schon die Ganzkörperbewegung verinnerlicht, im Karate lernt er dieselbe durch das Annehmen von Schlägen in den Partnerübungen und der Kata, bzw. das Makiwara.

Alles steht und fällt mit der Ganzkörperbewegung und den Methoden der Annahme. Um die Ganzkörperbewegung (im Karate Chinkuchi und Gamaku) zu können bedarf es harten körperlichen Trainings. Um die Methoden der Annahme zu können bedarf es der richtigen Bilder und der Ganzkörperbewegung. Fallen „hartes körperliches Training“ und/oder „Bilder“ weg, kann man die Kampfkunst eigentlich in die Tonne kloppen. Was bleibt sind dann entweder Leute die alles mit Kraft versuchen, oder Leute die nur theoretisieren (da sind die mit Kraft zumindest effektiver).

Hartes körperliches Training setzt eine Hingabe an die Kampfkunst voraus, denn nur so kann man sich täglich über Jahre schinden. Die richtigen Bilder setzt eine enge Bindung an einen Lehrer voraus, der diese Bilder ebenfalls kennt. Um jedoch die Ganzkörperbewegung und die Formen der Annahme selbst ausbilden zu können ist ein Lehrer nötig, der beides kann und einen beides spüren lässt.
Als Schüler braucht man das taktile Feedback des Lehrers!

Wenn man sich dieses einmal vor Augen führt, dann versteht man, finde ich, ziemlich leicht warum es zu einer solchen Verflachung der Kampfkünste gekommen ist. Oft wurde auf Ausbildung der körperlichen Attribute nicht mehr so viel Wert gelegt, die „Intellektuellen“ nahmen sich der Kampfkunst an, verfassten Bücher und gründeten „Institute“ oder „Vereinigungen“. Sie redeten miteinander über Kampfkunst anstatt für sich selbst zu trainieren und zu schwitzen. Diese Leute wurden als „große Lehrer“ angesehen und die damaligen (und auch heutigen) Gesellschaftssysteme verboten es sie in Frage zu stellen (wenn es Leute wie Choki Motobu oder Zhao Daoxin taten, wurden sie gehasst). Die Institute und Vereinigungen wiederum produzierten viele Schüler die die „Kampfkunst“ der „großen Lehrer“ in die Welt trugen, nur war von „Kampf“ nicht mehr viel über…

Für mich stellt sich damit ganz konkret die Frage was man tun muss/kann um dafür zu sorgen dass die eigene Kampfkunst erhalten bleibt? Ich habe zum Glück sehr gute und motivierte Schüler, bin aber nur 1 x die Woche im Training um sie zu unterrichten. Die Zeit geht dann für Korrekturen der Bilder/Annahmeformen/Kampfprinzipien drauf. Das tägliche „Schinden“, wie ich es erlebt habe, fällt da weg (auch wenn sie es glücklicherweise alleine tun). Es ist jedoch ein Unterschied ob man das in der Gruppe macht oder sich alleine „aufraffen“ muss.
Wie kann man diese Art des jahrzehntelangen, täglichen, Trainings, weitergeben? Es ist klar, dass Verbände das nicht leisten können. Es ist klar, dass man eine enge Lehrer-Schüler-Bindung braucht, aber wie kann man es schaffen in den Schülern den Funken zu entzünden für eine Kampfkunst zu brennen? Täglich zu üben, über Jahrzehnte?

Bei mir war es zuerst „das will ich auch können“, später merkte ich, dass es meinem Körper und vor allem auch Geist gut tut. Dann wurde es selbstverständlich 3 – 4 mal pro Woche zu trainieren (und zwar alleine). Alles steht und fällt mit dieser inneren Motivation.

Eventuell ist es für mich die Motivation, dass ich über die körperliche Seite des Trainings Kontakt zu meinem „inneren Kind“ bekomme, aber das würde bedeuten, dass die geistige Schulung ab einem gewissen Punkt dazugehören muss. Alle Leute, die ich kenne, und die so lange dabei bleiben, haben mit dieser Seite auf die ein oder andere Art zu kämpfen. Kann es sein, dass es dieser innere Kampf ist (bzw. das innere Kind), der die KK am Leben hält, wenn es nicht die äußeren Umstände wie Krieg oder gefährliche Umgebung sind?

Kann es sein, dass dieser Teil in uns den Funken für die Kampfkunst enthält?