Kuden/Okuden – Es gibt kein Geheimwissen

Oft liest man von Kuden/Okuden in den Kampfkünsten, von so genanntem „Geheimwissen“. Für mich ist jedoch klar:

ES GIBT KEIN GEHEIMWISSEN!

Es gibt nur Schüler die sich bemühen und solche die es nicht tun. Ein sich bemühender Schüler steht dem Lehrer auf den Füßen,
hängt an seinen Lippen und versucht so viel von seinem Wissen in sich aufzusaugen wie es geht. So jemand erfährt natürlich deutlich mehr und macht viel größere Fortschritte als jemand der 2-3mal die Woche zum Training kommt, vorher quatscht und hinterher ein Bier trinken geht (siehe auch „die Kampfkunstfamilie“).
Wer das Gehörte nicht versucht für sich im eigenständigen Training wieder neu zu erfahren, zu entdecken und umzusetzen wird nie auf eine körperliche Ebene kommen, die die Grundlage für alles Weitere ist.
Da fängt Kampfkunst jedoch erst an, das ist der Übergang zum „Ha“ aus „Shu-Ha-Ri“. Ab da kann man versuchen das Gehörte an sich zu entdecken.
Gehört hat man es schon oft vorher, evtl. auch intellektuell verstanden, aber der Körper (und auch der Geist) müssen diese Dinge verinnerlichen.

Der Spruch „Ein Lehrer kann dir nur die Tür zeigen und dir den Inhalt des dahinterliegenden Zimmer beschrieben. Die Tür öffnen, hindurchgehen und das Zimmer erkunden kannst nur du selber.“ bringt es schön auf den Punkt. Dazu eine kleine Geschichte wie es in dem Zimmer weiter geht:

Wenn man das Zimmer erkundet hat, entdeckt man irgendwann vielleicht die kleine Tür in der hintersten Ecke. Man öffnet diese und geht hindurch (denn man hat ja schon verstanden, dass man die Türen selber öffnen muss) und entdeckt auf einmal den Garten, den der Lehrer früher einmal erwähnt hat. In dem Garten wiederum findet man Andere, die es hierher geschafft haben und schlendert gemeinsam mit Ihnen umher. Man erzählt sich von den unterschiedlichen Zimmern und Türen, die einen hierher gebracht haben und plötzlich entdeckt man einen kleinen Teich.
Der ein oder andere wird jetzt evtl. die Blumen an dem Teich wiedererkennen, denn der eigene Lehrer hatte deren Blüte immer in seinem Sacko stecken. Dann erinnert man sich auch daran, dass der Lehrer erzählt hat er schwimme so gerne und das würde die Kampfkunst gut ergänzen.
Einige springen daraufhin ins Wasser, andere haben Angst, weil sie nicht schwimmen können, überwinden diese jedoch mit Hilfe der Schwimmer, wieder andere bleiben am Ufer zurück.
Dann schwimmt man gemeinsam durch den Teich und erreicht eine Insel.
Dort, an einem kleinen Feuerchen sitzt auf einmal der eigene Lehrer und grillt gemütlich mit den Lehrern der anderen Schwimmer. Dann kann man sich dazusetzen, bekommt ein Bier und geniest das Barbecue.

Was soll mir das Ganze jetzt sagen?

Ein Lehrer darf sich niemals auf dem Gelernten oder Erreichten ausruhen. Wenn ich das Zimmer betreten habe geht der Weg eigentlich erst los. Viele Menschen sind jedoch schon zufrieden durch die erste Tür gegangen zu sein. Der Raum gefällt ihnen und wenn sie Pech hatten, dann hat ihr Lehrer auch niemals den Garten erwähnt, der irgendwo hinter dem ersten Raum liegen soll, oder sie haben ihm nicht zugehört oder das Gehörte nicht verstanden.
Wenn man es sich einmal in dem Raum gemütlich gemacht hat, dann will man vielleicht gar nicht durch die neu entdeckte Tür gehen, zumal wenn es dahinter im Garten zunächst nebelig und ungemütlich ist. Das eigene Training und das eigene Entdecken der Bewegungen und Prinzipien ist „das sich im Zimmer umsehen“. Wenn man die Prinzipien mit Leben erweckt hat und sie in den Bewegungen anwenden kann, dann hat man die Tür entdeckt. Geht man durch sie hindurch wird man die so wirklich verstandenen Prinzipien auch in anderen Kampfkünsten entdecken.

An dieser Stelle kommen dann die anderen Kampfkunstlehrer ins Spiel, die, die es auch in den Garten geschafft haben. Sie haben eine ähnliche Einstellung wie man selber und hatten anscheinend auch einen ähnlichen Lehrer. Man tauscht sich aus, erzählt sich von den unterschiedlichen Lehrmethoden und entdeckt Gemeinsamkeiten. Man tauscht sich über die gemeinsamen Prinzipien aus, nicht über Techniken oder Unterschiede, denn die gibt es nur oberflächlich in den unterschiedlichen Zimmern.

Die Blume sind die Prinzipien die es zu entdecken gilt. Der Lehrer hat sie einem jeden Tag gezeigt, nur verstehen tut man sie erst wenn man die Blume im Garten sieht, dort wo auch die anderen Lehrer sind.

Wenn man an dem Teich angekommen ist erinnert man sich an das, was der Lehrer über das Schwimmen gesagt hat und das man es auch lernen sollte, da es die Kampfkunst ergänzt.
Viele Lehrer suchen zwar den Austausch mit anderen Kampfkünsten sind aber oft nicht bereit sich auf etwas gänzlich Neues einzulassen. Etwas anderes von Grund auf noch einmal neu zu lernen. Sie haben Angst wieder Anfänger zu sein und sich wieder komplett hinterfragen zu müssen. Wenn man jedoch mit seinem bestehenden Wissen eine völlig andere Kampfkunst von Grund auf neu lernt, dann bekommt man auch einen neuen Zugang zu seiner alten Kampfkunst. Es ist ein Unterschied ob ich mich mit Lehrern austausche oder ob ich noch einmal neu lerne, auch wenn ich schon sehr viel Erfahrung habe.

Wenn man den Mut aufbringt und sich auf dieses Neue einlässt, dann wird man die Insel erreichen, wo all die anderen wirklich großen Lehrer sind und wo einen der eigene Lehrer über sein gelebtes Vorbild hingebracht hat.
Es sind jedoch eben oft die Kleinigkeiten die den Unterschied machen und die man nur bemerkt wenn man sich wirklich intensiv mit der Sache auseinander setzt. Man muss die Blume am Revers bemerken, sich an die Worte über das Schwimmen erinnern und den Mut haben diesen Worten eigene Taten folgen zu lassen. Wer jedoch die Kleinigkeiten schon nicht bemerkt, der wird nie auf der Insel ankommen.

Ein solcher Weg beinhaltet jedoch auch die Notwendigkeit die richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt an seiner Seite zu haben. Ich brauche einen Lehrer der in der Lage ist mir von dem Garten zu erzählen, der mir die Prinzipien zeigt. Ich brauche andere Lehrer mit denen ich mich über die Prinzipien austauschen kann und ich brauche einen Lehrer, der mich im Garten der Prinzipien weiter ausbildet und der mir den Teich zeigt.

Sind die Prinzipien und Bewegungen zunächst auf der körperlichen Ebene wichtig, so
steht der Teich für unseren Geist. Dort werden die Prinzipien geboren, dort muss ich weiter forschen. Ein ruhiger Teich ist gut um darin zu schwimmen, aber er ist nicht das Schwimmen selber. Es gilt die Grundlage der Prinzipien in unserem Geist zu finden und zu lernen damit umzugehen. Ein ruhiger Geist ist dabei hilfreich, denn gerade am Anfang kann er das Schwimmen erleichtern. Wenn ich einmal schwimmen kann, dann kann ich mich in diesem Teich frei bewegen und die Insel erreichen.

Es gibt nur wenige Lehrer die uns von dem Garten erzählen können, noch weniger die uns den Teich zeigen und nur die wenigsten können uns lehren zu schwimmen, aber diese sind es, die man suchen muss.

„Kuden“ und „Okuden“ sind natürlicher Teil dieser Reise, man muss sie nur hören, erleben und verstehen. Ein Lehrer der jedoch niemals selber das erste Zimmer verlassen hat wird nichts von den Blumen im Garten erzählen können oder gar von den unglaublichen Vorteilen die das „Schwimmen im Teich“ bietet. Er wird einfach nicht wissen können wie das Barbecue schmeckt.