Judo und BJJ

Ich habe schon oft gesehen, daß Judoka, die mit dem 1., 2. oder sogar 3. Dan graduiert waren, im Bodenkampf gegen BJJ-Kämpfer völlig chancenlos blieben.
Die Jungs vom BJJ trugen in der Regel den Blaugurt oder den Violettgurt …

Ich möchte angesichts dessen eine einfache Frage stellen.
Warum sind BJJ-Kämpfer im Bodenkampf oft so viel besser als Judoka?

Doch.
Sind sie.
Es hat keinen Sinn, das abzustreiten.

Ich habe mehr als einmal gesehen, wie Judo-Schwarzgurte von BJJ-Weißgurten im Bodenkampf verknotet, abgewürgt und gehebelt wurden.
Wäre es da nicht sinnvoll, sich einzugestehen, daß man als Judoka im Bodenkampf in der Regel mit den BJJ-Kämpfern nicht mithalten kann?
Dieses Eingeständnis tut weh.
Es ist peinlich.
Denn das BJJ ist, wenn man so will, der „ländliche Cousin“ des Judo.
Das ändert aber nichts daran, daß im Bodenkampf das BJJ das Maß aller Dinge ist.
Und Judo leider nicht (mehr).

Man kann sich darüber ärgern. Man kann es abstreiten. Man kann versuchen, das BJJ zu ignorieren.
Aber ist das klug …?
Müßte nicht jeder Judoka von der Idee besessen sein, im Boden mindestens so gut zu werden wie die BJJ-Kämpfer?

Wenn ich mit anderen Judoka über dieses Thema diskutiere, dann kochen da ganz schnell die Emotionen hoch.
Völlig zu Recht wird darauf hingewiesen, daß wir Judoka im Standkampf sehr viel besser sind als die BJJ-Kämpfer.
Die Behauptung, daß BJJ-Kämpfer im Boden deutlich besser und erfolgreicher agieren als Judoka, wird allerdings empört zurückgewiesen.
Leider stellt sich dann sehr oft heraus, daß gerade jene, die nicht wahrhaben wollen, daß der durchschnittliche Judoka im Boden ziemlich mühelos von durchschnittlichen BJJ-Kämpfern dominiert wird, keine eigenen Erfahrungen im und mit BJJ vorweisen können …

„Ich hab da zwar keine eigenen Erfahrungen gemacht, kann mir aber nicht vorstellen, daß man als Judoka, noch dazu als Schwarzgurt, von BJJ-Blaugurten deklassiert wird!“

Vielleicht sollte man einfach mal das nächste BJJ-Gym aufsuchen und mittrainieren.
Man könnte dabei die eine oder andere sehr interessante Erfahrung machen …

Seit Jahren wird mir wieder und wieder erklärt, das Judo habe sich seit Kanos Zeiten beständig weiterentwickelt. Es ließe sich nun sicher darüber streiten, ob die technische Verarmung des Judo, die ich seit einigen Jahren zu erkennen glaube, tatsächlich als Weiterentwicklung verstanden werden sollte …
Vielleicht irre ich mich ja auch, und die von mir beobachtete Verflachung des Judo ist gar keine solche.
Mag sein.
Es ist sicher eine Frage des Blickwinkels.

Ich schrieb es bereits an anderer Stelle, und ich wiederhole es:
Eine echte, deutlich sichtbare und sinnvolle Weiterentwicklung des Judo erkenne ich persönlich nur im Bodenkampf. Und diese Weiterentwicklung des Judo nennt sich BJJ.

Manche Judoka behaupten, Bodenkampf sei Bodenkampf, und es gebe keinen grundlegenden Unterschied zwischen dem Bodenkampf des Judo und dem des BJJ.
Ein Würgegriff sei schließlich ein Würgegriff, und ein Armhebel sei ein Armhebel. Es gebe da keine Unterschiede …
Da möchte ich widersprechen.
Ich sehe signifikante Unterschiede zwischen dem (heutigen) Bodenkampf des Judo und dem BJJ.
Meiner Meinung nach haben Helio Gracie und seine Söhne (und später auch andere) den Bodenkampf so systematisert, wie Kano das mit den Würfen des Judo getan hat.

Dabei gingen sie wahrscheinlich von folgender Fragestellung aus: Was nützt es mir, Würgegriffe und Hebel zu erlernen, wenn ich nicht AUCH und vor allem lerne, wie ich überhaupt dorthin komme? Was also muß ich tun, um verläßlich Hebel und Würgegriffe ansetzen und durchziehen zu können?

Ich vermute, daß sie dann sehr schnell erkannten, daß der Mensch auf Angriffe in 99% aller Fälle mit einem bestimmten Verhaltensmuster reagiert, welches ein bestimmtes Bewegungsmuster auslöst.
Dadurch wird der Gegner ziemlich berechenbar.
Folglich kann man das drillen …

Und für das eine Prozent Unsicherheit gibt es meiner Meinung nach so etwas wie „Sicherungen“, die dann greifen, wenn der Gegner sich anders verhält als erwartet.
Und da der Mensch nun einmal nur zwei Beine, zwei Arme und einen Kopf hat, und da er das alles nur so bewegen kann, wie die Natur das vorgesehen hat, kann man schon mit einiger Wahrscheinlichkeit vorhersagen, was da gleich passieren wird, wenn man einen „straight armbar“ (Juji-Gatame) ansetzt.

Für jeden Judoka sollte es durchaus von Interesse sein, daß der Bodenkampf des Judo im BJJ bewahrt und weiterentwickelt wurde.
So ungern ich es sage – der Bodenkampf des „modernen Sport-Judo“ ist zusammenhangloses Stückwerk, nichts weiter als eine Ansammlung einzelner Techniken.
Dies wurde bereits vor einigen Jahren von Isao Okano kritisiert, und auch Syd Hoare fand dazu sehr deutliche Worte.
Syd Hoare schreibt:

Although recent long overdue rule changes have lengthened the amount of time competitors can spend on the ground it is clear that in the last ten to fifteen years the restriction of groundwork has virtually eliminated it from competition. Groundwork scores in major events account for about 11% of the total scores.

This restriction was done because it was thought that groundwork was boring for the spectators.
I wonder who in the IJF thought it was boring and what their arguments were.

Cage-fighting consists of a lot of groundwork and judging by the amount of TV time it gets the viewers think so too.

Most groundwork techniques can take a little while to set up and take effect but if no time is given for it Judo could well become a ne-waza-free zone.

If people really do judo for its self-defence potential then we would be cutting our throats if we eliminated armlocks, strangles and hold-downs.

(DEVELOPMENT OF JUDO COMPETITION RULES: A lecture given to the EJU Foundation Degree Course at Bath University by Syd Hoare 8thDan Aug 2005 )

Das BJJ hat im Gegensatz dazu aus dem Bodenkampf eine regelrechte Wissenschaft gemacht, die systematisch jene Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt, die man bei Judoka heutzutage leider nur noch sehr selten findet.

Es ist das große, gar nicht genug zu würdigende Verdienst Helios, daß er – aufbauend auf dem, was er und seine Brüder von dem Judoka Maeda lernten – die Bedeutung der „Übergänge“ (transitions) erkannte …
Als Judoka könnten wir heute davon genauso profitieren wie die BJJ-Kämpfer.
Aber wir tun es nicht.

Woran liegt es, daß man kaum Judoka findet, die Interesse am BJJ entwickeln und sich dort regelmäßig am Training beteiligen, um ihre Fertigkeiten im Bodenkampf zu verbessern…?
Immerhin sind Boden-Randoris gerade in eher breitensportlich orientierten Judogruppen bzw. Gruppen mit etwas höherem Altersdurchschnitt doch eigentlich sehr beliebt …